Liegen


Ich liebe sie. Sie ist für mich unabdingbar.
Sie liegt hier neben mir. Ihre schönen Augen sind geschlossen. Ihr Haar, verteilt über den Boden, hat nichts an Schönheit verloren. Es strahlt von der gleichen Schönheit, wie an dem Tag an dem ich sie kennenlernte.

Wie war das noch?

Meine Freunde und ich zogen gerade vom Marienplatz zum Stachus, mit kurzen Abstechern zum WOM, zur Kaufhalle und Kaufhof. Es war ein schöner Tag. Die Sonne brannte von dem wolkenfreien Himmel, selten kam ein Windhauch durch die Häuser und ließ die Blätter an den Bäumen leise rascheln.
Am Stachus konnten wir uns, dank des Brunnens, abkühlen. Einige Kinder tollten herum und ließen sich, wohl von dem Vater, filmen. Wir saßen dort und unterhielten uns. Langsam, wir bemerkten es kaum, schoben sich Wolken vor die Sonne. Dunkle Wolken. Gewitterwolken. Beim ersten Donnerschlag war der Stachus wir leergefegt. Wir wollten gerade in’s Untergeschoß fliehen, da stolperte ich. Ich rappelte mich auf, und wollte gerade losrennen, da fiel sie über mich. Ich half ihr auf und blickte ihr in ihre wundervollen, dankbaren Augen.
Hätten und meine Freunde nicht aus der Trance geweckt, wären wir sicher erkrankt. Wir flüchteten gemeinsam in’s Untergeschoß und brachen lachend zusammen. Nachdem wir uns gegenseitig aufgeholfen hatten fragte sie mich mit einer so sanften, ruhigen Stimme, wie ich sie nie zuvor gehört hatte: „Könntest Du mich ein bischen aufwärmen?“. Starr vor Schreck fiel mir mein Kinn hinunter und ich brachte nur ein komischen krächzen herraus. Sie wollte sich grad abwenden, da legte ich meinen Arm um ihren Bauch und zog sie an mich. So standen wir da, bis unsere Kleidung vollkommen durchnässt, aber trotzdem warm war. Meine Freunde, ich weiß nicht warum, fand ich erst nach längerem Suchen lachend auf.
„Und, hast Du ihre Telephonnummer?“
„Nein.“
„Dann lauf ihr hinterher und frag sie danach! Los!“
Sie schubsten mich.
„Nein.“
„Aber…“
„Sie hat meine…“ …

Wie ich hier so liege und sie betrachte, alte Erinnerungen wecke, kommt mir in den Sinn, was ich sie noch fragen will, aber das hat ja noch Zeit. Zeit. Wie hab‘ ich es gehasst, daß sie so langsam vergeht. Vor allem wenn man auf etwas wartet, wie eine Antwort oder einen Anruf. Dabei war eigentlich gleich am nächsten Tag an dem SIE mich anrief. Es klingelte, ich hob ab und meldete mich mit meinem Namen …
„Ha endlich weiß ich ihn.“
„Ähh… wer spricht dort?“
„Na rat mal. Gestern. Im Regen. Am Stachus…“
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wir unterhielten uns blendend und machten aus, wann wir uns treffen könnten.
Eine Woche später war es dann sicher. Als wir im Kino saßen legte ich meinen Arm um sie und küßte sie auf die Backe. Sie drehte sich zu mir, schaute mich mit ihren großen Augen an. Ich zog sofort meinen Arm wieder ein und schaute sie schuldbewußt an. Da packte sie mich am Hals und küßte mich auf den Mund. Wir schwebten im siebten Himmel und kriegten von dem Film nichts mehr mit …

Jetzt liegen wir hier, gemeinsam, und ich genieße es, ihren Körper, der so ruhig da liegt zu begutachten. Am liebsten würde ich sie küssen, ihr sagen, wie sehr ich sie liebe. Aber ich will sie nicht wecken …

Die folgenden Wochen waren die schönsten meines ganzen Lebens. Ich musste sie jeden Tag sehen, und sie mich. Jede freie Minute telephonierten wir, schrieben Briefe oder träumten voneinander. Das Leben war grendios, endlich hatte alles einen Sinn …

Im Nebenzimmer knallten Türen …

Eines Tages, wir saßen bei ihr im Zimmer, war sie sehr traurig.
„Ich muß dir was sagen.“ Mein lächeln schwand. Meine Augen wurden größer: „Wa…“ Sie lächelte.
„Ich will nicht Schluß machen.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Aber ich muß unbedingt zu meiner Tante nach Hamburg. Sie hat mich vor kurzem angerufen und erzählt, daß sie extra drei Karten für’s Theater gekauft hat. Drei Stück. Ihr Freund kommt noch mit.“
„Hmm. Wann geht’s denn los?“
„Nächsten Freitag.“
„Und wie lang bleibst du?“
„… Zwei Wochen.“
„So lange? Muß das sein?“
„Wir können froh sein! Sie wollte eigentlich, daß ich drei Wochen bleibe.“
„Dann laß uns die Zeit bis dahin so schön machen, daß es nicht zu schlimm wird.“ …

Ich höre Stimmen aus dem Nebenzimmer und auf dem Gang. Vielleicht sollte ich mal auf mich aufmerksam machen. Aber ich kriege irgendwie keinen Ton raus. Wie damals …

Sie rief mich spät Abends an. Sie meinte sie habe eine Überraschung für mich. Das weckte mich aus meiner Melancholie. „Echt? Laß doch mal hören.“ Was sie jetzt sagte haute mich um. Ich solle doch mitkommen, da ihre Tante wieder Single ist und sie die Karte nicht verfallen lassen wollte.
So haben wir also beschlossen nach Hamburg zu fahren. Gleich am nächsten Tag ging es los. Wir kauften für uns Zugfahrkarten und liefen zum Zug. Wir hatten ein ganzen Abteil für uns allein. Es sollten erst in Uelzen weitere Personen zu uns kommen, stand draußen“ …

Wenn ich das gewußt hätte. Wir hatten so viel Spaß, alleine, im Abteil. Wir waren total aktiv, kein Wunder, daß sie jetzt schlafen muß. Sie sagte mir, sie geht jetzt schlafen, aber mußte es gleich für immer sein? Ich hätte nicht gedacht, daß ich sie so schnell vermissen würde. Kaum wurde ich mit der Trage rausgetragen, fehlte sie mir. Kurz bevor die Krankenwagentüren geschlossen wurden, sah ich noch, wie er da lag, total zerstört und in sich verkeilt, der ICE in Eschede.

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